Weinbau mal anders

Mikroweingüter in und um Stuttgart pushen die hiesige Weinbranche

Ob mit den Partnerinnen, gemeinsam mit Freunden, vor und nach dem Bürojob oder als Ein-Frau-Betrieb – diese jungen WinzerInnen machen ihr eigenes Ding.

Foto: Ronny Schönebaum

Weinbau mit Kontakten

Der Name Kreis ist unter WeinliebhaberInnen bekannt, die Weinhandlung Kreis eine Stuttgarter Institution. Doch auch in den Weinbergen tut sich was. Seit 2021 bewirtschaftet Bernd Kreis‘ Sohn Kilian Kreis seinen eigenen Wengert am Scharrenberg. „Zuerst hat mein Vater den Weinberg gemeinsam mit dem Restaurant Wielandshöhe bewirtschaftet, später hat sich die Familie gekümmert und dann habe ich übernommen“, so Kilian Kreis. „Von klein auf habe ich mitgeholfen – das hat manchmal Spaß gemacht, manchmal war es aber auch nervig“, lacht er.

Heute bewirtschaftet Kreis den Weinberg im Nebenerwerb. „Es ist zum Glück keine riesige Fläche, etwas weniger als ein Viertel Hektar, etwa 30 Ar. Alleine ist es grenzwertig, ich habe aber auch Freunde und Freundinnen, die sich auskennen, mich bei der Arbeit unterstützen und am Wochenende dabei sind.“ Kreis selbst ist auch unter der Woche morgens vor oder abends nach seinem Bürojob in der Weinhandlung vor Ort.

„Durch die Weinhandlung habe ich gute Kontakte zu verschiedenen WinzerInnen, die mir bei Fragen weiterhelfen“, so Kreis. Angebaut werden bei Kreis unter nachhaltigen, naturnahen Bedingungen Sauvignon Blanc und Cabernet Franc. „Meine Weinbergsnachbarn nervt es wahrscheinlich ein bisschen, dass ich das Gras immer relativ hoch stehen lasse“, erzählt Kreis. „Ich mähe nur zweimal im Jahr, um die Artenvielfalt im Weinberg zu erhalten.“

Wenn das klappt und die Weinlese erfolgreich war, gibt’s die Weine in der Weinhandlung Kreis zu kaufen und wird in Stuttgarter Restaurants ausgeschenkt. „Mein erster Jahrgang,  ein kräftiger 2022er Sauvignon Blanc, kommt im November in den Handel.“

 

Weinhandlung Kreis [Böheimstr. 43, S-Süd, www.wein-kreis.de]

Fünf Freunde, ein Weingut

Im Stuttgarter Stadtteil Rohracker verbinden die fünf Freunde und Freundinnen Karin, Dennis, Manu, Moritz und Niko auf ihrem Weingut Edenberg & Tal traditionelles Handwerk mit regenerativem Wirtschaften. „Die Familie meines Mannes Dennis hatte schon immer Weinberge“, erzählt Mitgründerin Karin Nehls. „Hauptberuflich arbeitet er als Steuerberater, hat aber auch eine Ausbildung zum Winzer gemacht. Ich arbeite als selbstständige Produktdesignerin.“ Gemeinsam mit ihren Freunden Manu, Moritz und Niko, die ebenfalls hauptberuflich in anderen Bereichen arbeiten, haben sie das Weingut während der Panidemie gegründet.

„Wir haben alle das Bedürfnis, eigene Ideen zu verwirklichen – gleichzeitig erdet uns die Arbeit in der Natur – es hat etwas Sinnliches, am Ende sein eigenes Produkt in den Händen zu halten.“ Insgesamt gehören 1,5 Hektar Anbaugebiet zum Weingut, verteilt auf verschiedenen Flächen um Rohracker. Entsprechend aufwändig ist das Hobby. „Man ist fast jedes Wochenende im Weinberg“, erzählt Nehls. „Wir gehen aber beispielsweise auch auf Weinmessen.“

Das Besondere an den Weinlagen: Der Wein wird auf terrassierten Trockenmauern angebaut – das merkt man später auch im Glas. „Der Stubensandstein unter den Weinbergen beeinflusst die Aromatik“, erklärt Nehls. Angebaut werden sowohl traditionelle Rebsorten wie Riesling und Spätburgunder, aber auch pilzwiderstandfähige Sorten. „Beim Anbau und der Weinlese arbeiten wir komplett von Hand“, so Nehls. „Freunde und Freundinnen und die Familie unterstützen uns dann.“ Zu kaufen gibt’s den Wein in Verkaufsstellen in Stuttgart und Rohracker. Zudem bietet Karin Nehls Wanderungen sowie Yoga in den Weinbergen an.

 

Edenberg & Tal [Rohrackerstr. 316, S-Rohracker, www.edenbergundtal.de]

Von der Theorie in die Praxis

„Ich habe zwei Flächen am Schimmelhüttenweg, eine in Untertürkheim und seit Kurzem eine in Hedelfingen“, erzählt Stephanie Türk stolz. Vor sieben Jahren hängte die heutige Mikrowinzerin nach einer Sinnkrise ihren recht theoretischen Job als Ökotrophologin in der Hamburger Lebensmittelbranche an den Nagel und gründete den Ein-Frau-Betrieb in Stuttgart. „Ich hatte anfangs eine sehr romantische Vorstellung von Weinbau, denn in meinem Bürojob war ich sehr weit weg vom Endprodukt“, lacht Türk. „Ich habe dann noch eine Ausbildung zur Winzerin gemacht und begriffen, was es bedeutet auf einem Weingut zu arbeiten – allein was handwerkliche Skills und die körperliche Arbeit angeht – war aber auch direkt angefixt.“

Während sie anfangs noch im eigenen Hinterhof experimentiert, arbeitet sie nach der Ausbildung auf einem Weingut im Remstal, das auf Naturweine spezialisiert ist. „Das hat mir die Weichen gestellt“, sagt Türk. „Damals war Naturwein noch nicht so etabliert. Ich wollte das ändern und das Ganze etwas natürlicher angehen. Mir war klar, dass ich dann meinen eigenen Weg gehen und mich ausprobieren muss.“ Wünschen würde sich Türk, dass sich auch kleine Weingüter besser untereinander vernetzen.

Auf ihrem eigenen Weingut produziert die 46-Jährige heute nun ausschließlich naturnahen, nicht behandelten Wein in Eigenregie. „Mit meinem ersten eigenen Weinberg habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit macht“, so die Winzerin. „Im Laufe der Jahre sind dann die anderen Weinberge dazugekommen – aktuell arbeite ich Teilzeit als Winzerin in Anstellung und nebenher auf meinen eigenen Weinberg.“

Dort baut sie die Rebsorten Trollinger und Spätburgunder sowie Riesling und Lemberger an. „Den Lemberger habe ich dieses Jahr ganz neu bekommen, da bin ich gespannt, wie er schmeckt“, lacht Türk. „Mit dem Trollinger führe ich eine Hass-Liebe, denn er ist – auch mit Blick auf die klimatischen Veränderungen – schwierig in der Pflege.“

Die Stuttgarter Weinhandlung Off Grid und ein Weinladen in Hamburg haben Türks Weine im Programm. „Weil ich solange dort gelebt habe, wollte ich ihn, sofern ich mit dem Weinbau erfolgreich bin, auch in die Läden im Norden bringen.“

 

Heslach Heights [Schnellweg 11, S-Süd, www.instagram.com/heslach_heights]

Das eigene Ding durchziehen

Aus traditionsreichen Reben neue, moderne Weine machen – das ist das Ziel der beiden Freunde Jakob Bittner und Paul Kauber und deren Partnerinnen. Die beiden haben sich während der Winzer-Ausbildung kennengelernt und sich dazu entschlossen, ihr eigenes Ding auf dem Weinberg durchzuziehen – und zwar mit viel Leidenschaft und Engagement, wie der zweideutige Zusatz „Hang zum Alkohol“ schon vermuten lässt.

„Am Ende der Ausbildung hatten wir zwar schon viel Wein gemacht, aber eben nie unseren eigenen“, so Jakob Bittner (2.v.li.), der hauptberuflich beim Weingut Wöhrwag arbeitet. „Deshalb haben wir uns etwas gesucht, wo wir uns austoben können.“ Paul Kauber (3.v.li.) fügt hinzu: „Wir wollten von vorne bis hinten mal selbst entscheiden, in welche Richtung der Weinbau gehen sollte.“ Ort des Geschehens: eine Parzelle im Remstal. „Für uns ist das Beruf und nebenher Hobby“, lacht Bittner. „Wir müssen mit dem Wein kein Geld verdienen, sondern wollten uns einfach mal ausprobieren.“ Und zwar beispielsweise mit naturnahen Weinen mit speziellen Präparaten. „So etwas konnten wir als Angestellte im Betrieb nicht selbst entscheiden.“

„Wir wuppen die Arbeit gemeinsam mit unseren Partnerinnen“, erzählt Bittner. Den ersten Weinberg haben die Winzer mittlerweile abgegeben, betreuen aber weiterhin diverse Projekte im Raum Stuttgart, in Südtirol und im Rheingau, wo beide studiert haben. „Im nächsten Jahr wird bestimmt noch etwas dazukommen“, so Bittner.

Beim Anbau achten die beiden auf naturnahen Anbau in Handarbeit. „Im Remstal haben wir beispielsweise versucht, den Boden stärker zu reaktivieren, damit dort wieder mehr Leben stattfinden kann“, erklärt Kauber. „Wir haben versucht, auch im Ausbau möglichst wenig einzugreifen, also auch unfiltriert abzufüllen“, so Bittner.

Produziert haben die Winzer Riesling. „Aber anders“, wie sie betonen – „weg vom technisierten, hin zum spontan vergorenen, minimal oder gar nicht geschwefelten und unfiltrierten Wein. Es ist ein junger, trinkbarer, freaky Riesling geworden“, lacht Bittner. Verkauft wird der Wein auf Anfrage, über Events knüpfen die Winzer Kontakte mit Gastronom­Innen – in der Gerberei in Waiblingen und im Esslinger Embargo steht er etwa auf der Karte.

 

Hang zum Alkohol – Bittner Kauber Weine [www.instagram.com/hza_bittnerkauberweine]

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