Wolf im Schafspelz

Der Bürgergipfel macht aus der Liederhalle einen Rechtspopulis­ten-Kongress

Am 7. September findet der "Bürgergipfel 2024" in Stuttgart statt, der sich als seriöser Kongress präsentiert, jedoch RednerInnen mit rechtslibertären, verschwörungsideologischen und klimaleugnenden Ansichten versammelt. Expertinnen und Experten kritisieren die Normalisierung solcher Ideologien in einem städtischen Veranstaltungsort.

Foto: Sita Rumpel

Ein Klimaleugner, ein Antisemit und ein Impfgegner kommen in die Liederhalle. Was sich wie der Anfang eines schlechten Witzes anhört, wird am 7. September in Stuttgart Realität. Der „Bürgergipfel 2024“, lädt 1.000 TeilnehmerInnen zu einem „Kongress für mehr Vernunft, mehr Verantwortung, mehr Freiheit“ in die Liederhalle. Das Ziel: „eine effektive Bewegung der Freiheit“. Und ein öffentliches Statement mit zwölf Thesen, das danach an die Medien gehen soll.

Auf den ersten Blick mag das wie ein seriöses Treffen für politikinteressierte Bürgerinnen und Bürger klingen, die sich von der Regierung nicht verstanden fühlen. Beim Blick auf die Vita einiger Referenten, stellt sich die Frage ob eine fragwürdige Veranstaltung, den Rahmen eines städtischen Veranstaltungsortes für sich ausnutzt.

Experten haben Sorgen: Ein Begriff, der auf der Webseite häufig fällt, ist „Freiheit“. Nur geht es dabei nicht um die Freiheit der Gesellschaft, sondern um die Erhaltung von Privilegien und die Macht der ökonomisch Stärkeren. Andreas Häss­ler, Bildungsreferent und Redakteur bei der Fachstelle Mobirex, die zu Themen wie extreme Rechte, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Antifeminismus informiert, sieht den als Kernbegriff des rechtslibertären Spektrums.

„Die Bezeichnung des Kongresses als ‚Bürgergipfel‘ soll zunächst den Eindruck erwecken, es handle sich um eine Veranstaltung für alle BürgerInnen. Wenn man aber beachtet, dass der Eintrittspreis bei stolzen 150 Euro liegt, dann wird klar, dass sich die Veranstaltung an vermögende Leute richtet“, führt er weiter aus. Wie viel dabei für den Veranstalter rumkommt, ist bei 1.000 eingeplanten Teilnehmenden schnell ausgerechnet. Die Stadt verdient daran – außer der Raummiete – nichts.

Als vermögend kann man auch einen Großteil der geladenen Redner und Sponsoren beschreiben. Deren Gesinnung ist teilweise besorgniserregend: „Angekündigt sind RednerInnen und Organisationen, die dem rechtslibertären, verschwörungsideologischen oder neurechten Spektrum zuzuordnen sind“, sagt Andreas Hässler.

Ein Beispiel: Unternehmensberater Markus Krall. Der fiel in der Vergangenheit mit antisemitischen Chiffren auf und stand zuletzt wegen Kontakten zu dem im Reichsbürger-Terror-Prozess angeklagten Heinrich Prinz Reuß im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. „Krall stellt das allgemeine Wahlrecht in Frage, wenn er fordert, dass nur diejenigen wählen dürfen, die keine staatlichen Transferleistungen erhalten“, so Hässler. Wenn es nach Krall gehen würde, dürfte also jeder, der seinen Job verliert oder eine Zeitlang Arbeitslosengeld bezieht, nicht mehr wählen gehen.

Ebenfalls geladen ist der Jurist Ulrich Vosgerau, der Ende 2023 am vieldiskutierten Treffen von AfD- und Werteunion-Mitgliedern und Rechtsextremen in Potsdam teilnahm.

Auch bei anderen aktuellen Themen sind die Haltungen bedenklich: Mehrere AkteurInnen auf dem Kongress leugnen den Klimawandel. „Ein Beispiel ist die Lobbyorganisation Eike, der vorgeworfen wird, in der Vergangenheit Desinformationen zum menschengemachten Klimawandel verbreitet zu haben“, erklärt Hässler. 

Die Herkunft und Themen der geladenen Gäs­te und Unterstützenden sind also vielfältig. „Die Palette der Sponsoren und Partner reicht von einer US-amerikanischen ‚Anti-Woke‘-Kinderbuchreihe über einen Verein von Leugnern des menschengemachten Klimawandels bis zu einem baden-württembergischen Bitcoin-Hotel“, sagt Alexander Roth. Der Journalist ist stellvertretender Leiter der Online-Redaktion des Zeitungsverlags Waiblingen und recherchiert vor allem zu Themen im rechten Spektrum. Er ist sich sicher, dass es bei den Teilnehmenden ideologische Überschneidungen gibt: „Viele der Akteure lehnen staatliche Eingriffe ab, von der Geldpolitik bis hin zu Klimaschutzmaßnahmen.“

Auch Andreas Hässler erkennt Gemeinsamkeiten: „Es fällt auf, dass einige RednerInnen Bezüge zur Hayek-Gesellschaft aufweisen. Dabei handelt es sich um einen deutlich nach rechts abgedrifteten Verein, der als marktradikal und elitär einzuschätzen ist.“

Die RednerInnen kennen sich und kooperieren ohnehin. Oder wie Journalist Roth zusammenfasst: „Sie bilden mit ihren Positionen ein Scharnier zwischen konservativem Denken und Positionen des rechten Rands – und nehmen für sich laut Bürgergipfel-Webseite in Anspruch, einer unzufriedenen, ungehörten Masse von Menschen eine Stimme zu verleihen.“

Doch nicht alle Akteure sind gleich radikal. Die Bekanntesten sind wahrscheinlich die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry und Václav Klaus, der von 2000 bis 2013 tschechischer Präsident war. Auch Horst Lüning, der sich vor allem als Whisky Tester auf Youtube einen Namen gemacht hat und Wolfgang Herles, der lange Zeit Moderator der ZDF-Kultursendung „Aspekte“ war, sind vielen ein Begriff und keinem extremen Spektrum zuzuordnen.

Ein paar seriöse RednerInnen, eine direkte Ansprache auf der Webseite, der Name „Bürgergipfel“ – alles nur Zufall oder gut durchdachtes Marketing? „Ob gewollt oder nicht: Die Akteure unterscheiden sich in der Radikalität ihrer Vorstellungen“, so Journalist Roth. „Wenn Markus Krall beispielsweise vorschlägt, allen Menschen, die staatliche Hilfen erhalten, das Wahlrecht zu entziehen, ist das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Bei einer solchen Veranstaltung können radikale Positionen in einem seriös wirkenden Rahmen salonfähig gemacht werden.“

Der seriös wirkende Rahmen kommt auch durch den Ort des Kongresses zustande. Eine Veranstaltung in der Liederhalle, einem städtischen Veranstaltungsort, der sonst für gut besuchte Konzerte und Events bekannt ist, weckt in Stuttgart erstmal Vertrauen.

Wieso kann ein solcher Kongress überhaupt in einem Veranstaltungsort in öffentlicher Hand, wie der Liederhalle stattfinden? Harald Knitter, Pressesprecher der Stadt Stuttgart erklärt das so: „Die Anmietung muss nach dem Gleichheitsgrundsatz jedem ermöglicht werden, solange die geplante Veranstaltung nicht vom Grundsatz her gegen geltendes Recht verstößt oder eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass im Zuge der Veranstaltung Straftaten begangen werden.“

Derzeit werde mit einem friedlichen Verlauf gerechnet. Und so bestehe keine Grundlage, den Mietvertrag zu kündigen. Harald Knitter versichert aber, dass das Amt für öffentliche Ordnung, gemeinsam mit der Polizei Sicherheit und Ordnung gewährleisten wird. „Sollten strafbare Aussagen oder Handlungen bekannt werden, werden diese strafrechtlich verfolgt.“

Und tatsächlich sind öffentlichen Veranstaltungsorten erstmal die Hände gebunden. Der Gleichheitsgrundsatz und die Neutralitätspflicht verpflichten die Stadt dazu, alle Veranstaltungen, die nicht von verbotenen Parteien oder verfassungsfeindlich sind, gleich zu behandeln.

Nun ist einer der Kerngedanken des Grundgesetzes, der einer „wehrhaften“ Demokratie. Das bedeutet, das staatliche Behörden unsere freiheitliche demokratische Grundordnung schützen müssen. Eine tragende Säule dieser Grundordnung ist auch die Meinungsfreiheit. Unter die fallen laut der Stadt auch die geplanten Inhalte des „Bürgergipfels“.

Aber sie hat auch ihre Grenzen, eklärt Hässler: „Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, erfährt aber dort ihre Grenzen, wo die Würde des Menschen angegriffen wird. Dementsprechend ist zu prüfen, welche juristischen Möglichkeiten es gibt, gegen rassistische, antisemitische oder verschwörungsideologische Veranstaltungen vorzugehen.“

Andere Städte zeigen, dass Neutralitätspflicht noch lange nicht bedeutet, dass man keine Kontrolle über die Auswahl der Veranstaltungen hat: „Es ist möglich, bestimmte Klauseln in den AGB aufzunehmen, wie das Beispiel der Stadt Reutlingen zeigt“, fügt Hässler hinzu. „Dort verpflichten sich Veranstalter vertraglich dazu, gegen dieses Gedankengut vorzugehen, wenn es in Wort oder Schrift zu Gesetzesverstößen kommt.“

Das Problem: Selbst, wenn eine Veranstaltung dem extremen Spektrum zuzuordnen ist, kommunizieren nur die wenigsten das auch so. Auch die Webseite des „Bürgergipfels“ liest sich auf den ersten Blick unproblematisch. Klickt man sich weiter durch die Webseite, stolpert man über Forderungen nach einer „politischen, wirtschaftlichen und geistigen Wende“ oder Behauptungen, die Teilnehmenden würden „seit zwei Jahrzehnten vom Establishment in Politik und Medien nicht mehr repräsentiert“. „Diese Formulierungen sind typisch für eine populistische Strategie von rechts“, sagt Hässler.

Was die Neutralitätspflicht ebenfalls nicht untersagt: Positionierungen von OberbürgermeisterInnen oder Gemeinderatsmitgliedern. Ein solches Statement der Stadt ist bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Andreas Hässler von Mobirex hält dies aber für enorm wichtig, um der Normalisierung dieses Gedankenguts entgegenzuwirken und für demokratische Grundwerte Partei zu ergreifen: „Eine Demokratie, die was auf sich hält, kann da nicht neutral bleiben.“  

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